Die Chansons von Boby Lapointe

Die Chansons von Boby Lapointe 24.03.2025

Anfang April, am Freitag, den 4., bietet die vhs im Kreis Herford einen Vortrag über Boby Lapointe, einen französischen, eher etwas unbekannteren Chansonnier an. Durch den Abend führt Michael Wiersing Sudau, ein Kulturjournalist, der sich seit vielen Jahren mit französischen Chansons beschäftigt. Spannende Fragen über Boby Lapointe – spannende Antworten im Interview mit Michael Wiersing Sudau gibt es schon jetzt.

"Boby" - das klingt britisch und nicht französisch, oder? 

Ein anglisierter Kosename, in Westeuropa typisch schon vor 100 Jahren, als Robert Lapointe 1922 geboren wurde. Er stammt aus Pézenas, Südfrankreich, 20 Kilometer von Bézier und dem Meer entfernt. Sein Vater betrieb einen Handel für Pflanzenschutzmittel, war bürgerlich, engagiert, kreativ; er hatte eine große Sammlung von Instrumenten. Zwei Dinge waren in der Familie verankert: Das Interesse an französischer Sprache und Mathematik. Am Abendbrottisch hat man – das war die Zeit vor Fernsehen und Internet – oft zwei bis drei Stunden gemeinsam Sprachgebrauch und mathematische Probleme diskutiert. Von Boby Lapointe wird gesagt, dass er schon im Alter von 5 Jahren allein vom Klang von Wörtern begeistert war. Er hat Mathematik in Montpellier studiert, wurde dann von den Nazis zum Arbeitsdienst in Österreich gezwungen. Wo er desertierte und – mit viel Glück – wieder nach Hause zurückkehrte, wo er versteckt wurde. Nach dem Krieg hat er sowohl als Taucher gearbeitet, als auch als Installateur von Antennen, auf Dächern – also ganz unten und ganz oben. 1951 geht er nach Paris, wo er sein Glück mit Liedtexten versuchen will.

Sein Traum war, dass seine Texte andere singen, idealerweise Sängerinnen. 

Dass er selbst seine Texte interpretiert hat, war eine Notlösung. Ein Paradox ist meinem Eindruck nach die sehr unterschiedliche Natur, die Boby Lapointe an den Tag gelegt hat: Einerseits, im persönlichen Umfeld, äußerst beliebt und selbstsicher, andererseits parallel, auf der Bühne, lange als Interpret völlig überfordert. Da sind Dinge, die nicht zueinander passen – ein hohes Sprachgefühl, doch gleichzeitig massive Schwierigkeiten, seinen Rhythmus der musikalischen Begleitung anzupassen. Er hat oft Einsätze verpasst, aufeinander aufbauende Strophen vertauscht oder unbewusst wiederholt. Von der Bühnenpräsenz her muss er ein klägliches Bild abgegeben haben, übergebeugt, unsicher. In einem Interview hat er später gesagt: "Écrire des choses drôles m'amusait énormément, mais les chanter moi-même ne me faisait plus rire de tout." ("Es macht viel Spaß, lustige Dinge zu schreiben, aber wenn ich sie selbst singe, kann ich nicht mehr darüber lachen.") Eine Zeit lang galt er auch als Avantgardist, als Sänger für Intellektuelle – eine Menge Zuhörer haben ihn nicht verstanden.

Wie ist er dennoch zur Referenz geworden?

Boby ist nicht nur in Autounfälle geraten, sondern hat welche provoziert. Er wird eine lebenslange Lust an Dingen gehabt haben, die eher kindisch sind – wozu ja verantwortungsloses Fahren gehört, weil man sich an der Schnelligkeit und wohl dem Risiko berauscht. Sicher ist, dass – wäre er nicht der Mensch gewesen, der er war – wir nicht die Lieder hätten, für die er geliebt wird. Da schlüpft er eben unter anderem in die Rolle als Kind. Charakteristisch ist die Auseinandersetzung mit Sprache, wie sie Erwachsenen meist abtrainiert ist. Boby Lapointe pflegt Sprachwitz, was sich vielleicht im Französischen eher anbietet, als in anderen Sprachen. Der Laut "o" kann, zum Beispiel, als "au", "eau", "ho", "oh" oder auch nur als "o" unterschiedlich ausgeschrieben und gedeutet werden. Sein Wissen in der Mathematik war hilfreich, da geht es ja auch um das Zerlegen von Inhalten bis auf ihren Kern. Er hat sogar ein mathematisches System erfunden, das wissenschaftliche Auseinandersetzung erfahren hat; er hat es in eines seiner Lieder übrigens quasi übersetzt. Ob Zahlen, Striche oder Silben – es geht um Elemente, um deren Wert. Das Charmante an Bobys Liedern ist, dass man das alles nicht wissen muss. Im "Badezimmer-Lied" gibt es zum Beispiel eine zweite Stimme. Beide Stimmen singt er, singt mit sich selbst ein Duo, das ist genial. Auch die Musik passt – zwischen Blaskapelle, Jahrmarkt und Zeichentrickfilm – was das Erlebnis noch verstärkt.

Angesichts des Sprachwitzes – wie leicht ist die Übersetzung seiner Texte ins Deutsche? 

Übersetzungen sind immer Versuche einer Schadensbegrenzung. Mal kann man das schon Wort für Wort, dann wieder nur sinngemäß, damit der Text im Deutschen verständlich ist. Bei Lapointe kann man nicht dolmetschen, falls der Reiz auf Wörtern beruht, die im Französischen ähnlich klingen, ohne etwas miteinander zu tun zu haben. Das Paradebeispiel dafür ist "L’été où est-il?" (Wo bleibt der Sommer?), in dem ein kleiner Junge auf die Fee trifft, welche ihm einen Wunsch erfüllen möchte. Er wünscht sich gutes Wetter. Er bittet: "Qu'il fasse avant la St Jean bon", sie wiederholt – zusammengezogen in einem Wort – nur die letzten beiden Wörter seines Satzes, die sie zudem missverstanden hat: "jambon". Er wünscht sich also, dass es noch vor dem Johannistag schönes Wetter gibt, sie antwortet ihm mit 'Schinken'. Oder es geht um gleiche Wörter mit unterschiedlichen Bedeutungen. Sie teilt ihm mit: "Ton joli souhait m'a beaucoup plu" (Dein schöner Wunsch hat mir sehr gefallen), er wiederholt "beaucoup plu", meint damit aber, dass es zuletzt viel geregnet hat; beide Formulierungen – gefallen und eine Vergangenheit des Verbs 'regnen' – werden im Französischen gleich geschrieben. Wie bei "Willkommen bei den Sch’tis" ist das für Ausländer technisch nachvollziehbar und mit Hintergrundwissen witzig; die Mehrzahl seiner Lieder ist unkompliziert, tragikomisch oder komisch – sie macht auch dann Spaß, wenn man sie allein dank Erläuterungen versteht.

Boby Lapointes Durchbruch kam spät.

So spät, dass er schon tot war, mit gerade 50 Jahren. Noch in späteren Jahren hat er sich als Lagerarbeiter bei "Philips" verdingen müssen, hat sich Geld von befreundeten Sängern geliehen – übrigens von Brassens und Dessain, die ihn beide sehr schätzten. Der posthume Erfolg kam unvorhergesehen, als nämlich seine Plattenfirma darauf stieß, dass Musiklehrer seine Chansons den Kindern beibrachten. Er hat kein großes Œuvre hinterlassen – nur gut 60 Lieder – aber deren Neuveröffentlichung war dann kommerziell und künstlerisch so erfolgreich, dass er heute einen festen Platz unter den ganz Großen französischsprachiger Lieder innehat. Er hat in seinen Liedern unverwechselbar Spielereien mit Sprache auf die Spitze getrieben, gehört zur Standardliteratur von jedem, der Ambitionen in diesem Beruf verfolgt. Seine Lieder sind wohl teils kaum imitierbar, doch einige gehören zum Repertoire. Sein Stil sticht – und das ist der entscheidende Punkt – deutlich heraus; alle anderen Interpreten sind dagegen fast schon seriös, gesetzter. Boby Lapointe ist – bis heute – das Kind voll teilweise überdrehter Lebenslust, der Erwachsene mit kindlichem Gemüt. Und eine Einladung an uns, die Dinge mal so zu betrachten.

Lust mehr über Boby Lapointe zu erfahren und einige seiner Chansons zu hören? Hier sind die Informationen zu der Veranstaltung. 

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