Mit Selbstcoaching in der Pandemie die Nerven behalten 09.02.2021
Evelyne Müller und Nadine Ufermann geben Tipps für Einzelpersonen und Familien. Ihre Übungen wirken auf Gedanken, Körper und Seele.
Kreis Herford. Ein Jahr Ausnahmezustand mit wochenlangen Lockdowns und jetzt auch noch grassierende Virus-Varianten: Diese Zeiten machen es uns schwer, ausgeglichen und zufrieden zu sein. Auf der langen Strecke liegen bei vielen die Nerven blank. Doch es gibt Möglichkeiten, sie zu beruhigen.
Evelyne Müller
"In der Pandemie sind die Strukturen weggefallen", sagt Evelyne Müller. Die Kinder gehen nicht mehr zur Schule, wir nicht mehr zur Arbeit und nach der Arbeit nicht mehr ins Fitness-Studio oder ins Theater. "Wenn die Strukturen weg sind, führt das zu Unsicherheiten und Ängsten. Hinzu kommen die Ängste, sich anzustecken, schwer zu erkranken oder den Arbeitsplatz zu verlieren. Wir fühlen uns durch all das bedroht."
Sicherheit gehöre zu den Grundbedürfnissen, sagt die Religionspsychologin und Lebensberaterin, die zudem Referentin zu den Themen Glück und erfülltes Leben ist (www.fulfilled-life.de). Wenn die Sicherheit bedroht ist, haben wir verschiedene Strategien, erklärt sie. Manche isolierten sich völlig, andere erstarrten in Ohnmacht und Hoffnungslosigkeit.
Die Gedanken in Bahnen lenken
Wichtig zu wissen: Angst ergreift den Körper, die Seele und die Gedanken. Müller empfiehlt daher, ihr auf allen drei Ebenen zu begegnen. Die Gedanken lassen sich zum Beispiel steuern: Wer sich ansieht, was genau ihm Angst macht, wird vielleicht feststellen, dass er sich überwiegend mit negativen, bedrohlichen Nachrichten beschäftigt. Er sollte sich dann auf positive Medienberichte konzentrieren. Es geht also darum, den Fokus auf Positives zu lenken.
Beim Beruhigen der Gedanken helfe auch, sich jeden Abend vor dem Einschlafen die Dinge vor Augen zu führen, für die man dankbar sein kann, sie vielleicht auch aufzuschreiben. Auch hierbei geht es darum, sich auf die schönen Dinge zu konzentrieren.
Zudem sollte sich jeder eine Tagesstruktur aufbauen, sagt Müller: Im Urlaub mag es mal schön sein, in den Tag hinein zu leben. In der Pandemie gebe eine solche Struktur aber Sicherheit.
Dem Körper Glückshormone entlocken
Dem Körper helfe hingegen Bewegung, zum Beispiel Spaziergänge, aber auch Sport. Denn dabei schütte er Glückshormone aus und entspanne sich. Wer auf eine gute Ernährung achte, tue seinem Körper ebenfalls Gutes.
Der Seele Nähe zu Anderen geben
Und die Seele? Ihr tut es gut, Kontakt zu anderen zu halten. "Einsamkeit ist toxisch", sagt Müller. "Wir brauchen Beziehungen wie die Luft zum Atmen." Beziehungen zu pflegen, sei auch in dieser Zeit möglich. Die 36-Jährige schlägt Telefon- und Videogespräche vor, etwa mit alten Freunden. Aber es ließen sich sogar neue Kontakte knüpfen.
Müller schlägt www.meetup.de (Slogan: "Die wirkliche Welt ruft") vor, das sie selbst auch nutze, eigentliche eine Internetseite für Begegnungen im wahren Leben. Auf ihr gebe es aber auch Möglichkeiten, sich online über allerlei Themen auszutauschen. Eine Brieffreundschaft anzufangen, sei eine andere Möglichkeit.
Auch spirituelle Praktiken und Religiosität beruhigten die Seele, geben Halt und Hoffnung. Müller nennt den Psalm 23 - "Der Herr ist mein Hirte" - als Beispiel. Wer nicht beten mag, könne über Sprüche meditieren. "Das kann man täglich machen." Gebet und Meditation würden gut dabei helfen, hoffnungsvoll zu bleiben.
Nadine Ufermann
Tipps für Familien hat Nadine Ufermann, die als Supervisorin, (Familien-)Coach und Lebensberaterin Menschen in Krisen und Veränderungsprozessen begleitet (www.nadine-ufermann.de). Auch die 34-Jährige setzt dabei auf Orientierung durch neue Strukturen.
In der Familie ließen sie sich am besten in einem Familienrat schaffen, sagt Ufermann. Denn alle - Vater, Mutter und Kinder - brauchten Beziehung, Autonomie und Orientierung. Und das bekommen sie, wenn sie zusammensitzen, Bedürfnisse aussprechen und ihre Tage gemeinsam planen.
Strukturen in der Familie schaffen
Am besten gingen Familien in zwei Schritten vor. Zunächst berichtet jeder, wie es ihm geht und was er braucht, um einen guten Tag zu erleben. Das funktioniert gut, wenn die Satzanfänge vorgegeben sind: Ich fühle mich heute . . ., Ich möchte heute . . ., Ich möchte heute nicht . . ., Ich brauche . . . Dabei sollten Befinden und Bedürfnisse für die anderen möglichst nachvollziehbar werden.
Dann überlegen alle gemeinsam, wie sie den Tag aufteilen und notieren das auf einem Kalenderblatt oder Wochenplan. Dabei geht es um Fragen wie: Wie soll Homeschooling, wie soll die Arbeit im Homeoffice aussehen? Wann beginnen wir mit den Hausaufgaben? Wer kocht oder putzt wann? Wann machen wir Pausen?
Wichtig sei dabei, Zeiten für jeden einzuplanen, in denen er etwas Schönes machen kann: einen Spaziergang, Sport, ein digitales Treffen mit Freunden zum Frühstück, auf einen Kaffee oder ein Glas Wein. Internetportale wie Zoom, Skype oder Jitsi meet ermöglichten das, sagt Ufermann.
Mit einer Atemübung einfach entspannen
Richtiges Atmen fördert Entspannung und kann uns in eine innere Balance bringen, sagt Ufermann. Wer das ausprobieren möchte, setzt sich mit geradem Rücken an einen gemütlichen Platz und horcht bewusst in sich hinein. Wie fühlt er sich? Worum kreisen die Gedanken?
Die Atemtechnik ist dann in vier Zeiteinheiten unterteilt: Eine fürs tiefe Einatmen durch die Nase, eine fürs Anhalten des Atems und zwei fürs Ausatmen durch den Mund. Beim Ausatmen können negative Gedanken und einengende Gefühle bewusst losgelassen - ausgeatmet - werden. Ufermann empfiehlt die Übung mehrmals am Tag. Zudem lasse sie sich gut mit Kindern durchführen.
Zwei Kurse zur Selbsthilfe
Evelyne Müller wird bei der Volkshochschule (VHS) Herford am Samstag, 27. Februar, in der Zeit von 10 bis 11.45 Uhr einen interaktiven und für Teilnehmer kostenlosen Online-Vortrag halten. Titel: "Positiv bleiben in Zeiten von Corona".
Der interaktive Online-Vortrag "Corona-Koller - Ausstieg aus dem Hamsterrad" von Nadine Ufermann findet bereits am heutigen Montag, 8. Februar, statt, beginnt um 18.30 Uhr und ist für Teilnehmer ebenfalls kostenlos.
08.02.2021, NW Herforder Kreisanzeiger, Corinna Lass