Jacques Brel 09.01.2025
Ende Januar, am Freitag, den 24. Januar, bietet die Volkshochschule im Kreis Herford einen Vortrag über Jacques Brel, den belgischen Chansonnier und Schauspieler, an, dessen Lieder ihn zu einem der wichtigsten Repräsentanten des französischen Chansons machten. Durch den Abend führt Michael Wiersing Sudau, ein Kulturjournalist, der sich seit vielen Jahren mit französischen Chansons beschäftigt. Spannende Fragen über Jacques Brel – spannende Antworten von Michael Wiersing Sudau gibt es schon jetzt.
Von den wenigen französischsprachigen Interpreten, die in Deutschland bekannt geworden sind, ohne dass sie auf Deutsch gesungen haben – also nicht wie zum Beispiel Mireille Mathieu oder Gilbert Bécaud – ist den Älteren heute oft noch Jacques Brel ein Begriff. Und das sogar dann, wenn sie seine Lieder nicht kennen. Was macht das Werk Brels so außergewöhnlich selbst in Frankreich ?
Brel, geboren 1929, war Belgier, Sohn eines französischsprachigen Flamen, aufgewachsen in Brüssel. Er hat zwar Frankreich mit seinen Liedern erobert, aber ich glaube, dass er – gewollt oder gezwungen – sich in seinen Liedern immer einen Blick von außen auf das Land bewahrt. Er schwelgt nie in Nationalismen, er assimiliert sich nicht, er behauptet gar, man höre immer noch seinen Brüsseler Sprachfall. Das Anders-sein schlägt sich in seinen Texten nieder – er hat die geschrieben, niemand sonst. Noch mehr ist es aber die absolute Authentizität dessen, worüber er singt. Bei keinem anderen Interpreten ist man so gewillt zu glauben, dass er das alles ehrlich meint. Er ist total glaubwürdig, es schlagen seine Gefühle und Ansichten durch, er kann nicht gleichgültig bleiben. Und ganz egal, ob er jetzt einen versteckten Appell an die Menschheit richtet, oder mit einem witzigen Text daherkommt. Auf der Bühne aber war Brel ebenso einzigartig. Sie bekommen da drei Dinge geliefert: Den Text, natürlich, und die Musik. Dazu kommt jedoch die Interpretation, geradezu das Verkörpern der Lieder. Nie hat es wohl so sehr gestimmt, dass ein Sänger seine Lieder "lebt" – ich kenne jedenfalls keinen anderen. Brel ist urkomisch, und im nächsten Lied der winselnde, verlassene Verlierer.
Brel ist mit gerade einmal 49 Jahren an den Folgen von Krebs gestorben.
Das Bewundernswerte ist ja, dass er in gut 25 Jahren so viel schafft und im Bereich der darstellenden Künste verschiedene Karrieren erfolgreich hinlegt. Zum Höhepunkt seiner Karriere als Sänger macht er 1966 unerwartet Schluss, weil er sich – wie er sagt – in seinen Liedern nicht wiederholen möchte. Er wird Übersetzer und Hauptdarsteller der französischen Version des Musicals "Der Mann von La Mancha", und geht dann zum Kino. In der "Filzlaus" begeistert er als ziemlich guter Hauptdarsteller zusammen mit Lino Ventura und findet ein Millionenpublikum. Bereits zu Lebzeiten erscheint – und nicht von ihm entwickelt – ein US-Musical mit seinen Liedern, in Brüssel trägt eine U-Bahnstation seinen Namen, es gibt ein Denkmal für ihn und ein Museum. Nach den Attentaten in Paris im November 2015 wird auf der Gedenkveranstaltung für die 130 ermordeten Opfer als eines der wenigen Lieder Brels "Quand on n'a que l'amour" gesungen, FranceInfo schreibt: "Les paroles d'un Belge pour honorer la France et ses victimes". Das alles ist höchst selten. Brel ist fast bis zu seinem Tod der immer junge Mann, der manchem zu viel Emotion zeigt. Aber in seinen vielen besten Liedern berührt er letztlich jeden von uns – bis heute. Ist in Rage, albern, wild-romantisch, entlarvt uns, stirbt für die Liebe, ist teils so existenzialistisch-ehrlich wie Tschechow.
Können Sie ein Beispiel für einen witzigen Text geben?
Bezeichnend für Brel Chansons sind Veränderungen während des Liedes selbst. Man muss immer mit Überraschungen rechnen, man hat es sich vielleicht gerade gemütlich in dem Text gemacht, aber das kann sich schnell ändern. Er mag sich einerseits in den Vordergrund spielen, andererseits ist er derjenige, der Großkotzigkeit am ehesten kritisiert. In "Knokke-le-Zoute Tango" ist er der ewig Hoffnungsvolle, der jeden Abend in diesen Ort kommt, um vielleicht doch eine Frau für sich zu begeistern. Strotzend vor Selbstbewusstsein beschreibt er zunächst malerisch, wie er sie sich wünscht, nicht nur eine, sondern viele, seine Überlegenheit. Mal sieht er sich als Argentinier, mal als Spanier, als Schönster von allen. Doch am Ende jeder Strophe fällt dieses Selbstbildnis in sich zusammen, es regnet nur wieder draußen, und wieder hat es nicht geklappt. Schließlich erscheint er ganz hoffnungslos – das arme Würstchen - wenn da nicht der nächste Tag wäre. Und da wiederholt er nach und nach den gesamten Text, aber nun unter der Prämisse, dass es morgen doch eine neue Chance gibt. Der Text ist nicht nur witzig, sondern auch voller Hoffnung, dass man im Leben doch noch die Kurve kriegt. Das ist herrlich surrealistisch, da reihen sich originelle Worte an gewandten Formulierungen.
Inwiefern sind die Texte autobiografisch?
Nun, selbst wenn sie nicht autobiografisch sind, so gibt es ja einen Auslöser für jeden Text, die Wahl eines Sujets, und die hat natürlich immer auch was mit dem Autor zu tun. Aber auf jeden Fall gibt es in den Liedern Persönliches. Lebensgeschichte teilt Brel in "Mon enfance" (Meine Kindheit) mit, die 1930er Jahre, frühe Pubertät, die brüsk vom Einmarsch der Deutschen einschneidend beendet wird. Da erklingen alles nur Schilderungen von Alltagserfahrungen, dann das Glück der ersten Liebe – "je jure que je volais" singt Brel, 'ich schwöre, ich flog' vor Glück – und dann der Kontrast des Krieges. Wie bitter das gewesen sein muss, das hört aus nur vier Worten – "et la guerre arriva" – jeder Zuhörer heraus. In "Les Marquises" beschreibt er das Leben auf diesen Inseln, eine Art selbstgewähltes Exil, wo er unweit von Gauguin begraben liegt. Zwischen diesen beiden Stationen, der Kindheit und letzten Jahren unter anderem auf den Inseln, spielt sich sein Leben ab. Generell hat Brel ein großes Mitteilungsbedürfnis, er will alles erzählen, was ist, was er sich vorstellt.
Gibt es ein Beispiel dafür, was Sie mit Brel persönlich verbindet?
Weil es hier schon erwähnt wurde, komme ich nochmals auf "Quand on n'a que l'amour". Als man noch Poesiealben hatte, oder wenn man, heute noch, in Museen oder Ausstellungen gebeten wird, einen persönlichen Eindruck und Kommentar festzuhalten, zitiere ich – in Ermangelung eines Lebensmottos – gerne aus dem Lied: "Alors sans avoir rien / que la force d'aimer / nous aurons dans nos mains / amis le monde entier (Und haben wir Freunde auch nichts, als die Kraft der Liebe, so werden wir dank ihr dennoch die Welt in unseren Händen halten). Dieser naive Kindheitsglaube, dass der Sänger mit der Gitarre in der Hand die Kanonen zum Schweigen bringt, das Gute und die Liebe siegt, ist unübertroffen. Etwas Hoffnung braucht man; das gebe ich gerne bei solchen Gelegenheiten weiter. Es ist einer der frühen Texte von Brel, den er auch selbst, allein an der Gitarre begleitet hat. Ein Bild von großer Kraft.
Lust, mehr über Jacques Brel zu erfahren und einige seiner Chansons zu hören? Hier sind die Informationen zur Veranstaltung.